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Kompetenzorientierung braucht begriffliche Klarheit

Lehrpersonen stehen bei der Umsetzung der Kompetenzorientierung vor großen Herausforderungen, die sich vor allem aus begrifflichen Unklarheiten und der damit verbundenen mangelhaften Operationalisierbarkeit von Kompetenzorientierung ergeben.

Kompetenzen ermöglichen es den Schüler*innen, in variablen Situationen zu handeln und ihr Wissen und Können zielgerichtet, verantwortungsvoll und reflektiert einzusetzen. Sie schaffen die Basis für den Erwerb und die Anwendung spezifischer Fähigkeiten und Fertigkeiten und verkörpern damit ein weitgehend stabiles Werkzeug, das zur Bewältigung wechselnder Herausforderungen befähigen soll. Somit ist Kompetenz das Zusammenspiel von Wissen, Können und Disposition, welches uns in neuen Situationen zur Verfügung steht. Je höher unsere Kompetenz, desto mehr Handlungsoptionen haben wir. Das heißt Kompetenzen werden im Handeln sichtbar. Es gibt jedoch Bereiche wie Motivation, Interesse, Einstellungen oder Lernwille, die im Handeln nicht oder nur sehr schwer sichtbar sind. Sie bestimmen jedoch die Kompetenzen, die durch Handeln sichtbar sind, mit.

Performanz ist ein beobachtbares Phänomen, dem Kompetenz zu Grunde liegt. Somit zeigt sich erworbene Kompetenz nur auf der Ebene von Performanz. Performanz fungiert als mittelbare Kompetenzbeschreibung und als „Kompetenzbeweis“ gegenüber den beurteilenden Lehrpersonen.

Kompetenzmodelle sind prozessorientierte Modellvorstellungen über den Erwerb von fachbezogenen oder fächerübergreifenden Kompetenzen. Sie strukturieren Bildungsstandards innerhalb eines Unterrichtsgegenstandes und stützen sich dabei auf fachdidaktische und fachsystematische Gesichtspunkte. Es wird also immer eine Performanz in einem beschränkten Bereich gemessen, wobei auf Kompetenzen rückgeschlossen werden muss. Ein Kompetenzmodell soll für Messungen und zur Gestaltung von Unterricht verwendbar sein.
Man unterscheidet grundsätzlich zwischen normativen und deskriptiven Modellen sowie Kompetenzstrukturmodellen, Kompetenzstufenmodellen und Kompetenzentwicklungsmodellen.

  • Normative Modelle beschreiben den „Zielzustand“, also das, was Schüler*innen nach einer bestimmten Schulstufe können sollen.
  • Deskriptive Modelle hingegen beschreiben den „Ist-Zustand“, das heißt was Schüler*innen bereits können, also welche Kompetenzen sie schon erworben haben.

Kompetenzstrukturmodelle sind idealtypische Vorstellungen davon, wie verschiedene Facetten einer bestimmten Kompetenz zusammenhängen.
z.B.: Grundlage für das Kompetenzstrukturmodell Biologie ist das dreidimensionale Modell der naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer (Biologie, Chemie und Physik) der 8. Schulstufe. Dabei wird folgende Gliederung vorgenommen: Inhaltsdimension, Handlungsdimension und Anforderungsniveau.

Kompetenzstufenmodelle benennen die Graduierungen der gemessenen Fähigkeiten in mehreren Kompetenzstufen bzw. –niveaus.
z.B. Bei den Bildungsstandards wurde der Erreichungsgrad durch Kompetenzstufen beschrieben.

Noel Burch entwickelte schon in den 1970er Jahren sogenannte Kompetenzstufen, die wir alle durchlaufen müssen, um zu wachsen beziehungsweise um den (stetigen) Wandel von Inkompetenz zu Kompetenz zu vollziehen. Man könnte auch sagen, es sind die vier typischen Phasen des Lernens:

  • Unbewusste Inkompetenz: Wir lernen alles in Etappen. Doch dazu müssen wir überhaupt erst wissen, dass wir nichts wissen. Oder erkennen, dass wir zu wenig wissen – und entsprechend dazu lernen müssen. Diese Phase der unbewussten Inkompetenz ist zwar noch nicht das eigentliche Lernen – sie geht ihm aber immer voraus. Manche verharren allerdings auch dort.
  • Bewusste Inkompetenz: Die zweite Phase ist eigentlich die wichtigste: Wir erkennen unsere Defizite, verstehen aber auch, wie wir diese ausgleichen können. Erst so können wir gezielt an ihnen arbeiten und eben dazu lernen. Auch hier wird allerdings noch nicht gelernt. Die Weiterentwicklung findet (hoffentlich) erst in der nächsten Phase statt.
  • Bewusste Kompetenz: Wir beginnen zu lernen und sehen gleichzeitig erste Lernerfolge. Wir begreifen bewusst den Wandel von der Inkompetenz zur Kompetenz. Ein gutes Gefühl, das allerdings noch mit einigen Anstrengungen verbunden ist: Wir müssen pauken, büffeln, auswendig lernen, trainieren. Immer wieder. Erst die letzte Phase bringt den eigentlichen Triumph.
  • Unbewusste Kompetenz: Endlich haben wir so viele praktische Erfahrung mit den neuen Fähigkeiten gesammelt, dass sie uns in Fleisch und Blut übergehen sind und jederzeit abgerufen werden können. Und das, ohne uns großartig darauf konzentrieren zu müssen. Wir sind unbewusst kompetent. Allerdings birgt diese Phase die Gefahr, arrogant zu werden: Was uns jetzt kinderleicht von der Hand geht, ist für andere noch eine Herausforderung (derer sie sich vielleicht nicht einmal bewusst sind – falls sie noch in Phase 1 stecken).

Kompetenzentwicklungsmodelle beschreiben in welcher Reihenfolge bestimmte Fähigkeiten entwickelt werden.
Dreyfus und Dreyfus (1980) beschreiben einen Weg zur Kompetenz als ein theoretisches Kontinuum des Kompetenzerwerbs. Im sogenannten Dreyfuss-Modell gibt es fünf Stufen der Kompetenzentwicklung: Anfänger; Fortgeschrittener; Kompetenter; Versierter; Experte. In den ersten drei Entwicklungsstufen geht es vor allem um das „Know what“, während die späteren Stufen die „Know how“-Stadien benennen.

Kompetenzbereiche stellen fertigkeitsbezogene Teilbereiche eines Kompetenzmodells dar.
z.B.: Das Kompetenzmodell für Technik und Design gliedert sich in die Kompetenzbereiche Entwicklung, Herstellung und Reflexion.

Kompetenzgenese
Es lassen sich fünf Aneignungsweisen für Kompetenzen unterscheiden (Gnahs 2010, S. 30f).

  • Sozialisation: Das Leben als Mitglied in einer Familie, in einer Gruppe Gleichaltriger, als Schüler*in und als Mitglied in einem Verein wirkt prägend – und zwar in erster Linie auf Haltungen und Werte. Ein höflicher Gruß auf dem Gang ist ein Beispiel einer Kompetenz, die auf die Sozialisation eines Menschen zurückzuführen ist.
  • Formales Lernen: Unter dem formalen Lernen wird das Aufnehmen von Fachwissen im Rahmen klassischer Lerninstitute verstanden. Das Ergebnis sind meist vergleichbare Befähigungsbezeichnungen. Zeugnisse und Zertifikate von Pflichtschulen sind das physische Beispiel hierfür.
  • Nicht-formales Lernen: Unter nicht-formalen Lernen wird das Aufnehmen von Fachwissen verstanden, das außerhalb der Schule und damit auch außerhalb des Pflichtbereichs stattfindet. Dementsprechend ist nicht-formales Lernen all das, was in Einrichtungen außerhalb der Schule doch in die Kategorie des institutionalisierten Lernens fällt.
  • Informelles Lernen: Unter informellem Lernen wird all das verstanden, was außerhalb der Schule passiert und meist personenbezogen ist. Sprich: Was von den Eltern, von Gleichaltrigen, von Geschwistern gelernt wird oder im Selbststudium verinnerlicht wird, fällt in diesen Bereich.
  • En-passant Lernen: Das Lernen „en passant“ bezeichnet das unbewusste Lernen. Wie stark dieser Faktor ausgebildet ist, hängt maßgeblich davon ab, wie aufmerksam ein Mensch seine Umwelt wahrnimmt.

Kompetenzorientierung ist schon länger präsent.

Als Antwort auf den Wunsch nach einer evidenzbasierten Steuerung des Bildungssystems erfolgten zahlreiche Umsetzungsschritte.

Als ersten Schritt in Richtung der Kompetenzorientierung im österreichischen Bildungswesen wurden die Bildungsstandards seit 2001 unter Mitwirkung von Lehrer*innen in einer Pilotphase an rund 300 Schulen erprobt.

Nach einer Novelle des SCHUG im Jahr 2008 wurden 2009 die Bildungsstandards durch eine Verordnung für einzelne Unterrichtsgegenstände definiert, welche Kompetenzen Schüler*innen nach der 4. und 8. Schulstufe erworben haben sollen. Weiters wurde in dieser Verordnung die Überprüfung der Bildungsstandards als regelmäßige, zentral vorgegebene Leistungsmessungen vorgegeben.
Die Überprüfung der Bildungsstandards startete im Schuljahr 2011/12 mit der 8. Schulstufe im Fach Mathematik. Diese Überprüfungen erfolgten jeweils jährlich in einem Fach auf einer Schulstufe (alternierend 4. und 8. Schulstufe).
Ziel der Implementation von Bildungsstandards war deren Verwirklichung im Unterricht, d. h. deren Umsetzung in zielführendes Lehrerhandeln.

Die Zentralmatura oder auch standardisierte kompetenzorientierte Diplom- oder Reifeprüfung (SRDP) an den allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) und an den berufsbildenden höheren Schulen (BHS), wurde im Schuljahr 2015/2016 erstmals durchgeführt.

Die Neukonzeption der Bildungsstandards-Überprüfung in Form der iKMPLUS stellt ab dem Schuljahr 2021/22 auch die Förderfunktion verstärkt in den Vordergrund. Neu dabei ist die jährliche Überprüfung aller Fächer (Deutsch und Mathematik in der Primarstufe; Deutsch, Mathematik und Englisch in der Sekundarstufe I) jeweils auf der 3., 4., 7. und 8. Schulstufe. Die Bildungsstandards bilden weiterhin die Grundlage für die Überprüfung.

Im Laufe der letzten Jahre wurden einzelne Lehrpläne erneuert, so z.B. der Lehrplan für Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung im Jahr 2016 oder für technisches und textiles Werken im Jahr 2017.
Seit dem Frühjahr 2019 wurden kompetenzorientierte Lehrpläne für die Primar- und Sekundarstufe I unter Einbindung von Lehrpersonen und Fachwissenschaftler*innen entwickelt. Die neuen Lehrpläne werden für die Volksschule sowie für die Mittelschule und die AHS-Unterstufe inklusive Sonderformen eingeführt. Sie treten aufsteigend (1. und 5. Schulstufe bzw. in der Vorschulstufe) ab dem Schuljahr 2023/24 in Kraft.

Gesetzliche Verankerung der Kompetenzorientierung:
•    §17 SCHUG
•    § 8 SCHOG
•    Bildungsreformgesetz 2017
•    Lehrplan 2023

Kompetenzorientierung ist auch Kritiken ausgesetzt.

Seit Einführung nationaler Bildungsstandards gibt es eine kontinuierliche Debatte um Kompetenzorientierung. Diese Implementation von Bildungsstandards durchdrang das Bildungssystem nicht bis auf die Mikroebene des Unterrichts (Oelkers & Reusser, 2008, S. 39).
Die Kritik an der Kompetenzorientierung entstammt zum Teil dem Wunsch nach Lösungen für den Unterricht. Schratz (2012, S. 17) fasst die Problematik mit der Auseinandersetzung eines neuen Zugangs folgendermaßen zusammen: „Kompetenzorientierter Unterricht verfehlt die in ihn gesetzten hohen Erwartungen, wenn er nicht die Tiefenstrukturen in der Beziehung zwischen Lehren und Lernen neu bestimmt.“

REFLEXION

  • Lehrseitig
    • Was unterrichte ich? (Inhalte)
    • Wie unterrichte ich? (Methoden)
  • Lernseitig
    • Was sollen die Schüler*innen wissen/verstehen/können?
    • Welche wirkmächtigen Erfahrungen können sie dazu machen?

Eine weitere Problematik entstammt laut Frohn und Heinrich (2018) aus einer Verkürzung des Kompetenzbegriffs auf die Leistungsdimension, wobei sie einen Ausweg aus der Problemlage mit der dahinterliegenden Problematik aufdecken. Es treffen Welten aufeinander, die für dasselbe andere Begrifflichkeiten (kriteriale Bezugsnorm vs. Standardorientierung und die individuelle Bezugsnorm vs. Schüler*innenorientierung) haben, aber eigentlich vom selben sprechen.

REFLEXION

  • Wie definiere ich den Kompetenzbegriff?
  • Wie definiere ich kriteriale Bezugsnorm bzw. Standardorientierung?
  • Wie definiere ich individuelle Bezugsnorm bzw. Schüler*innenorientierung?

Kritische Stimmen identifizieren die Ökonomisierung als die treibende Kraft der Kompetenzorientierung. Dabei wird der Fokus auf ihre potentielle Verwertbarkeit gelegt. Außerdem sei Kompetenz ein unscharfer, positiv konnotierter und für unterschiedliche weltanschauliche Orientierungen und pädagogische Überzeugungen anschlussfähiger Containerbegriff (Krautz, 2015).

REFLEXION

  • Wo widerspiegelt der Fachlehrplan die mögliche Ökonomisierung?
  • Was ist der Kern des Faches?
  • Was ermöglicht das Fach im Leben?
  • Wie kann ich die Kernaspekte des Faches/der Fächer sichtbar machen?

Manche orten Kompetenz als Widerpart zum Bildungsbegriff und den Verlust desselbigen. Bildung bezeichnet entweder einen Zustand oder einen Prozess. Sie geht über Kompetenz insofern hinaus, als sie das Dasein des Menschen insgesamt im Blick hat, auf die Befreiung von Zwängen abzielt und auch Nutzloses und Zweckfreies als erstrebenswert erachtet.

REFLEXION

  • Ist Bildung etwas, was man lehren und lernen kann?
  • Was bleibt übrig, wenn man alles Gelernte vergessen hat?